Mäßig überzeugen konnte die heutige Ausgabe des Scripted-Reality-Reality-Doku-Formates Verdachtsfälle, welches für gewöhnlich Psychoexhibitionismus gekonnt mit der Zuschaustellung des Bodensatzes menschlicher Gesellschaft verbindet. So auch in der heute Nachmittag ausgestrahlten Folge, in der eine Teenie-Mutter den Sprössling für lumpige zwei Mille an dessen Vater, nämlich ihren eigenen Chef verhökert. Mit ihm (dem Chef, nicht dem Sprössling) betrog sie neun Monate zuvor ihren nichtsahnenden Freund. Nach einer Entführung des Blages durch besagten Vorgesetzten soll durch einen Gentest die Elternschaft des jungen Paares bewiesen werden, doch natürlich scheidet der beschränkte Softie an ihrer Seite als Erzeuger aus: Alle Lügen kommen nach und nach ans Licht.
Leider würden wir von den Schreiberlingen eines solchen Formates erwarten, dass ihr Elaborat viel deutlicher die Moral in dieser verkommen Gosse namens Drehort wiederherstellt. Schließlich wird unsere eigene Brut heutzutage im Wesentlichen durch die Flimmerkiste großgezogen, doch was soll sie speziell aus der heutigen Folge für ihre Zukunft mitnehmen? Die junge Familie kommt am Ende glücklich wieder zusammen, der 19-jährige Freund nimmt sich bereitwillig des Kuckuckskindes in seinem Revier an. Dass solche Fälle in der nicht gescripteten Realität typischerweise mit Amokläufen oder bestenfalls mit Familiensuizid enden, wird dem wissbegierigen Nachwuchs taktvoll verschwiegen.
Auch wäre es schön, wenn das Augenmerk mehr auf echten Nacktszenen, entblößenden Bekenntnissen frustrierter Hausfrauen und Ausflügen zu freimaurerischen Nudistentempeln läge. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nehmen sich, so gut sie können, ihres Bildungsauftrages an (vorzugsweise, indem sie sich an ein, sagen wir, gereifteres Publikum wenden, dem man ohnehin nichts mehr beibringen kann), aber was tun die Privaten, um ihrer Bestimmung gerecht zu werden? Man muss sich nach dem Konsum einer derartigen Sendung in Grund und Boden schämen, zur Gattung Mensch zu gehören, doch nachdem ich mich heute aus dem Sessel erhob, spürte ich nicht mehr als ein leises Bedauern, meine Zeit verschwendet zu haben. Immerhin, soviel Fairness muss sein, konnte ich noch reinen Gewissens auf die Proleten auf dem Bildschirm hinabblicken. Sollten eines fernen Tages auch noch Doku-Soaps mit moralisch überlegenen Charakteren ausgestrahlt werden, werde ich definitiv nicht mehr einschalten.
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