Immerhin!

Wir haben nicht einen, nicht zwei, nein: drei Sieger in unserem kleinen Wettbewerb! Siehe dazu die Kolumne zur Rechten.

Sonntag, 15. August 2010
Die Fernsehkritik: Mein erstes Leben
Und wieder einmal meldet sich der Kulturteil zu Wort. Heute beanstanden wir das RTL-Sommerloch-Format Meine erstes Leben, dass vermeintlich spannende Geschichten aus früheren Inkarnationen bedauernswerter Laienschauspieler präsentiert.

Nun wird den Wünschen des Publikums jedoch in geradezu infamer Weise entgegengewirkt, indem jede unter Hypnose erweckte Erinnerung sofort die volle Dosis Drama enthält. Bergstürze, Misshandlungen, all jenes sehen wir zwar gerne, aber solche nachlässig fabrizierten Plagiate werden nie an Galileo Mystery heranreichen, dass seit Jahren erfolgreich einen hohen Standard auf dem Gebiet paranormalen Fernsehens feststeckt. Die RTL-Autoren wären wohl besser damit bedient, das monotone Leben einer westerwälder Bauernfamilie im Zwiespalt zwischen Luther- und Elberfelder Bibel in aufregungerregenden Schnitten zu schildern. Letzten Endes ist es doch genau das, was den Zuschauer vom Hocker reißt.

Immerhin erhielten wir auf diese Kritik hin eine Rückmeldung des Senders. Es sei ganz natürlich, so der Wissenschafts- und Esoterikredakteur, "dass in der Trance besonders prägende Momente ins Bewusstsein rücken und nicht der schnöde Alltag. Auch haben unsere Castingmitarbeiter eine erhöhte geistige Affinität zu traumatisierten Zweitlebern, die wesentlich stärkere mentale Stoßwellen aussenden als der gemeine Wald- und Wiesenbürger von Anno dazumal"
Schön, in diesem Punkt lassen wir uns gerne besänftigen. Was dagegen weiterhin sauer aufstößt, ist die eher mangelhafte Qualität der Schilderungen vormaliger Erlebnisse. Die Testpersonen erzählen geradezu unfassbar schlecht, pausieren an den falschen Stellen und wachen ausgerechnet am spannendsten Punkt aus der Trance auf. Zum Glück verfügen die Cutter der Serie über gehobene Fertigkeiten, sodass sie die Spannung wenigstens auf ein erträgliches Mittelmaß zu heben vermögen.

Größte Stärke des Formates ist, auch das müssen wir fairerweise hervorheben, die peniblen, unter empirischen Bedingungen erbrachten Beweise der Richtigkeit der vorgetragenen Geschichten. Wir bekommen zu hören, dass die hinzugezogene Expertin schon über 1800 Rückführungen vorgenommen hat, und wie wir seit Epikur wissen, ist eine hohe Zahl von Anhängern ein fundierter Beleg für die Wahrheit einer These. Auch werden statt hastiger Schätzungen ausführlich Karten konsultiert, Widersprüche geortet und die verfehlungen der Kandidaten im jetzigen Leben hervorgehoben. Die Sendung ist zweifelsohne ausbaufähig, aber vielleicht kann sie schon in wenigen Jahren die komplizierte Suche nach einem neuen Dalai Lama ersetzen. Wohlan, man darf noch viel erwarten, sei es nun gut oder nicht!

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Montag, 2. August 2010
Die Fernsehkritik: Verdachtsfälle
Ausgestrahlt am 2.8.2010; 15 Uhr auf RTL

Mäßig überzeugen konnte die heutige Ausgabe des Scripted-Reality-Reality-Doku-Formates Verdachtsfälle, welches für gewöhnlich Psychoexhibitionismus gekonnt mit der Zuschaustellung des Bodensatzes menschlicher Gesellschaft verbindet. So auch in der heute Nachmittag ausgestrahlten Folge, in der eine Teenie-Mutter den Sprössling für lumpige zwei Mille an dessen Vater, nämlich ihren eigenen Chef verhökert. Mit ihm (dem Chef, nicht dem Sprössling) betrog sie neun Monate zuvor ihren nichtsahnenden Freund. Nach einer Entführung des Blages durch besagten Vorgesetzten soll durch einen Gentest die Elternschaft des jungen Paares bewiesen werden, doch natürlich scheidet der beschränkte Softie an ihrer Seite als Erzeuger aus: Alle Lügen kommen nach und nach ans Licht.
Leider würden wir von den Schreiberlingen eines solchen Formates erwarten, dass ihr Elaborat viel deutlicher die Moral in dieser verkommen Gosse namens Drehort wiederherstellt. Schließlich wird unsere eigene Brut heutzutage im Wesentlichen durch die Flimmerkiste großgezogen, doch was soll sie speziell aus der heutigen Folge für ihre Zukunft mitnehmen? Die junge Familie kommt am Ende glücklich wieder zusammen, der 19-jährige Freund nimmt sich bereitwillig des Kuckuckskindes in seinem Revier an. Dass solche Fälle in der nicht gescripteten Realität typischerweise mit Amokläufen oder bestenfalls mit Familiensuizid enden, wird dem wissbegierigen Nachwuchs taktvoll verschwiegen.
Auch wäre es schön, wenn das Augenmerk mehr auf echten Nacktszenen, entblößenden Bekenntnissen frustrierter Hausfrauen und Ausflügen zu freimaurerischen Nudistentempeln läge. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nehmen sich, so gut sie können, ihres Bildungsauftrages an (vorzugsweise, indem sie sich an ein, sagen wir, gereifteres Publikum wenden, dem man ohnehin nichts mehr beibringen kann), aber was tun die Privaten, um ihrer Bestimmung gerecht zu werden? Man muss sich nach dem Konsum einer derartigen Sendung in Grund und Boden schämen, zur Gattung Mensch zu gehören, doch nachdem ich mich heute aus dem Sessel erhob, spürte ich nicht mehr als ein leises Bedauern, meine Zeit verschwendet zu haben. Immerhin, soviel Fairness muss sein, konnte ich noch reinen Gewissens auf die Proleten auf dem Bildschirm hinabblicken. Sollten eines fernen Tages auch noch Doku-Soaps mit moralisch überlegenen Charakteren ausgestrahlt werden, werde ich definitiv nicht mehr einschalten.

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